Echo-Online: Wenn der Heinstermüller selbst erzählt

Heimatgeschichte – Wiedergabe einer Originalaufnahme ist Höhepunkt eines Vortrags beim Historischen Verein

Zum Erinnerungs-Allgemeingut der alteingesessenen Odenwälder gehören der Heinstermüller Leonhard und seine Frau Margarethe Heß. Beigetragen haben dazu sowohl die Besonderheit von Wohnsitz und Tagesgeschäft als auch die Tätigkeit des Handwerkers als Heimatautor. Foto: Archiv Werner König
ERBACH.

Was der pensionierte Gymnasiallehrer Werner König (Michelstadt) über Leben und Werk des Heinstermüllers Leonhard Heß (1886-1967) zu berichten hatte, bescherte dem Historischen Verein für die Kreisstadt und die ehemalige Grafschaft Erbach nun einen vollen Vortragssaal. Unter den Gästen weilten auch zwei Heß-Enkelkinder: Elsa Feick aus Wersau und Heinrich Heß aus Würzberg. Gekommen war ebenso Rolf Habermeier, der 1999 das Mühlenanwesen von der Stadt Michelstadt erwarb. Zu Beginn seines Vortrags lud der Referent seine Zuhörer zu einer virtuellen Reise in die Vergangenheit ein.
Wie der profunde Heimatforscher und -kenner König aufzeigte, handelt es sich beim Gebiet der Heinstermühle zwischen Würzberg und Watterbach/Bayern schon seit Einhards Zeiten um Grenzland. Vielleicht, so der Heß-Biograf, sei es ja die historische Lage der Mühle mit der Nähe zu Römerbad und Kastell Würzberg gewesen, die den jungen Leonhard Heß angeregt habe, sich mit der Geschichte seiner Heimat zu befassen.

Um den Schatz an Geschichten und Anekdoten über den ehemaligen Müller zu verstehen, müsse man in das Würzberg der Jahre vor dem Ersten Weltkrieg zurückgehen. Damals habe es noch strohgedeckte Häuser gegeben, und die Dorfstraße sei nicht befestigt gewesen, schilderte König. Es sei die Zeit der Petroleumlampen gewesen, die noch bis in das Jahr 1921 mit Einzug der Elektrizität angedauert habe.
Um das Jahr 1906 sei das soziale Klima im Ort nicht gut gewesen, weil die Fehde zweier Familien das Dorf gespalten habe. Der junge Leonhard Heß sei selbst durch einen Bubenstreich in das Spannungsfeld der beiden Lager geraten und habe wegen polizeilicher Nachstellungen seine Heimat verlassen und in der französischen Schweiz untertauchen müssen. Es sei ihm dort durch seine handwerklichen Fähigkeiten sehr gut gegangen. Aus dieser Zeit stammten die frühen Aufzeichnungen des Müllers, während sein Hauptwerk die Geschichte des Dorfes Würzberg und die Mühlenchronik ausmachten.
Aus einem Vorwort zur Dorfgeschichte gehe hervor, dass Leonhard Heß 1928 die Geschichte der Heinstermühle aufgeschrieben und 1936 die Chronik des Dorfes Würzberg begonnen habe. Zu seinen Aufzeichnungen gehörten aber auch die Schulgeschichte Würzbergs, die Tagebücher von 1957 bis 1966 sowie 124 Aufsätze für den damaligen „Centralanzeiger“, die spätere Odenwälder Heimatzeitung und das heutige ECHO.
Höhepunkt des unterhaltsamen und informativen Abends waren Heß-Geschichten im Originalton des Heinstermüllers, die Geschichtslehrer Werner König 1964 selbst aufgenommen hat. Während die erste Erzählung eine typische Schauergeschichte ist aus der Zeit, als es noch Scharfrichter in Michelstadt gab, behandelt die zweite Erzählung ein Erlebnis des Schneiders Emig aus Bullau, der auf dem nächtlichen Weg von der Heinstermühle in den Eutergrund die Begegnung mit einem Gespenst gemacht haben soll.
Die dritte Erzählung erinnert an zwei total betrunkene Waldarbeiter, die beim Rindenschälen aneinandergeraten waren. Der Streit endete für den einen tödlich, was dazu führte, dass eine Gerichtskommission nach Würzberg kam, um den Kopf des Erschlagenen mit nach Darmstadt zu nehmen. Da die Gesandten noch in Eulbach einkehrten, blieb ihre makabre Fracht bei den Gästen im Lokal nicht ganz unbemerkt.
Der Referent schloss seinen Vortrag mit einer Würdigung des Heinstermüllers. Leonhard Heß habe durch seine Aufzeichnungen eine Botschaft für alle jetzt Lebenden hinterlassen, die das gegenwärtige Tun und Handeln beeinflussen könne. Es sei die Frage, ob bei dem derzeitigen Streben nach nachhaltiger hoher Lebensqualität auch die Bescheidenheit einen Grundwert darstelle.
Um den Vortrag noch anschaulicher zu gestalten, hatte Werner König aus Michelstadt eine Reihe bisher unveröffentlichter Bilder des früheren Heinstermüllers und seiner Ehefrau zusammengestellt.

Quelle: http://www.echo-online.de/region/odenwaldkreis/erbach/Wenn-der-Heinstermueller-selbst-erzaehlt;art1269,2852770

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